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Experte Brunnengräber: Darum ist Atomkraft im Kampf gegen den Klimawandel keine Hilfe

Aktualisiert am 02.02.2022, 07:06 Uhr

In immer mehr Ländern erfährt die Atomkraft ein Comeback. Die Internationale Atomenergiebehörde meldet eine sprunghaft ansteigende Nachfrage.


Im Kampf gegen den Klimawandel macht Frankreich Druck und versucht Europa auf den Weg einer Nukleartechnologie 2.0 zu bringen.


Die Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 hat die deutsche Atompolitik wesentlich geprägt. Die schwarz-gelbe Koalition unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel hatte den noch ein Jahr zuvor von Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg zunächst rückgängig gemacht, nur um ihn dann in Reaktion auf Fukushima doch wieder in Kraft zu setzen. Im Jahr 2010 belief sich laut statista.de der Anteil der Kernenergie in Deutschland auf fast 23 Prozent des verbrauchten Stroms, im Jahr 2020 waren es noch 11,3 Prozent. Das Ziel für das Jahr 2023 lautet null Prozent. Doch viele europäische Länder gehen einen anderen Weg und wollen an der Nuklearenergie zur Erreichung der Klimaziele festhalten oder sogar neue Kernkraftwerke bauen. Experte erklärt: Erneuerbare Energien können Strombedarf decken Nun fordern einige Stimmen auch für Deutschland ein Comeback der Nuklearenergie. Denn laut einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums wird der Strombedarf im Vergleich zum Jahr 2018 bis 2030 um elf Prozent steigen. Die Argumentation der Atomkraft-Befürworter: Einzelne Sektoren entwickeln bis 2030 einen steigenden Bedarf an Elektrizität, weil dort verstärkt auf klimafreundlichere Technologien gesetzt und die fossilen Energieträger ersetzt werden. Beispiel sind die Elektromobilität, Wärmepumpen oder auf übergeordneter Versorgungsebene die Herstellung grünen Wasserstoffs. Die Atomkraftbefürworter prognostizieren daher eine Versorgungslücke, die allein durch erneuerbare Energien nicht zu schliessen sei. Achim Brunnengräber von der FU Berlin hält die Sorge im Gespräch mit unserer Redaktion jedoch für unbegründet: "Es gibt wissenschaftliche Studien, beispielsweise des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie oder des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die klar aufzeigen, dass der Energiebedarf aus erneuerbaren Energien gedeckt werden kann." Auch das Deutsche Klimakonsortium (DKK) erklärt in einer Stellungnahme, die Grundlast-Energieversorgung sei auch ohne Kohle- und Atomstrom gesichert. Darüber hinaus erklärt Brunnengräber: "Der erhöhte Energiebedarf wird nicht von heute auf morgen entstehen, sondern sich langsam entwickeln. In dieser Zeit muss der Ausbau der Erneuerbaren massiv vorangetrieben werden." Experte Brunnengräber: Haben Energiewende in Deutschland verschleppt Es fragt sich aber, ob auch der politische Wille dafür gegeben ist: "In den letzten Jahren haben wir die Energiewende verschleppt und durch politische Entscheidungen ausgebremst", sagt Brunnengräber. Dabei geht Deutschland mit seinem vergleichsweise rigorosen Atomausstieg einen Sonderweg. Neben Frankreich hält auch Grossbritannien an der Atomkraft fest. Ähnlich sieht es in Schweden und auch dessen Nachbar Finnland aus, wo laut faz.net Mitte der 2020er Jahre das erste weltweite Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Betrieb genommen werden soll. Belgien vertagt derweil seinen endgültigen Atomausstieg, in Italien beginnt eine Debatte über die dort eigentlich verpönte Atomkraft und sogar in Japan wird Nuklearenergie als unverzichtbarer Bestandteil der Energieversorgung gesehen. Hinzu kommt: Die Kommission der Europäischen Union will nun auch Atomenergie als nachhaltige Investitionsanlage einstufen. Ein Vorschlag, der vor allem dem europäischen Kernkraft-Treiber Frankreich entgegenkommt. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) bezeichnet den Vorschlag dagegen als "Greenwashing". Im Koalitionsvertrag der Ampel ist auch ein Kohleausstieg idealerweise bis zum Jahr 2030 vorgesehen. Atomkraft: Weder CO2-frei noch saubere Energie Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, ob Atomenergie einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leisten kann. Experte Brunnengräber ist skeptisch: "Sie ist keine saubere Energie. Der Uranabbau in den Ländern des globalen Südens hat Folgen für die Landschaft und die Menschen dort und beim Transport, der Vorbereitung, der Verarbeitung, der Herstellung der Brennstäbe sowie beim Bau, dem Rückbau und der Endlagerung fällt CO2 an", erklärt der Experte. Je nachdem, ob nur der Prozess der Energiegewinnung im engeren Sinn, oder die gesamte Lebensspanne des AKW betrachtet wird, ergeben sich andere Zahlen. Atomstrom steht zwar besser da als Gas oder Kohle: "Aber dass Kernenergie CO2-frei funktioniert, ist falsch. Hinzu kommt, dass es weltweit noch kein betriebsbereites Endlager gibt. Bei der Frage der Entsorgung stehen wir noch ganz am Anfang. Sie wird uns noch über Generationen beschäftigen und Ressourcen binden", erklärt Brunnengräber. Der IPCC-Report von 2014 zeigt, dass die Zahlen zum CO2-Ausstoss von AKWs deutlich variieren. Nach noch unveröffentlichten Daten des deutschen Umweltbundesamtes, auf die sich dw.de bezieht, sind Photovoltaik-Anlagen der Kernkraft aber deutlich überlegen. Bei letzterer werde 3,5-Mal mehr CO2 pro Kilowattstunde ausgestossen. Im Vergleich zur Windkraft an Land seien es sogar 13-Mal mehr CO2, gegenüber der Wasserkraft 29-Mal mehr CO2. Doch selbst wenn Atomstrom CO2-frei wäre, bestünden beim Kampf gegen den Klimawandel einige weitere Probleme: "Wir müssten uns fragen: Ist der Ausbau der Atomenergie in den nächsten Jahren so möglich, dass es dem Klimaschutz dient?" Die Antwort sei ein klares Nein, so Brunnengräber. Man müsse nur ins Ausland, beispielsweise nach Frankreich, Grossbritannien oder Finnland schauen, um überall das gleiche Bild zu sehen: "Es kommt zu jahrelangen Verzögerungen und die Kosten explodieren." Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht das ähnlich: "Atomenergie ist enorm teuer, erneuerbare Energien sind viel billiger." Das schlägt sich auch statistisch nieder, so Brunnengräber: "Seit 2006 der Höhepunkt der weltweiten Atomstrom-Erzeugung erreicht wurde, sehen wir einen Niedergang der Atomenergie, der noch deutlicher ausfällt, wenn der erzeugte Atomstrom von China unberücksichtigt bleibt. Und das ist eigentlich das beste Zeichen, dass sich diese Energieform ökonomisch nicht rechnet. Ohne staatliche Subventionen kann kein einziges AKW mehr gebaut werden", sagt der Experte. Experte Brunnengräber fordert: Müssen Klimawandel jetzt bekämpfen Das gesellschaftliche Klima in Deutschland dürfte einen Wiedereinstieg in atomare Energien ohnehin kaum hergeben. SPD und Grüne sind schon lange für den Atomausstieg und auch die dritte Regierungspartei FDP hat zuletzt in Person von Christian Lindner eine Revision abgelehnt: "Das wäre 2021 weder rentabel noch realistisch." Achim Brunnengräber weist darüber hinaus auf den Faktor Zeit hin: "Wir müssen den Klimawandel jetzt bekämpfen. Wenn ein AKW in zehn Jahren fertig ist, hilft uns das nicht." Dennoch arbeiten in Kalifornien mittlerweile viele Firmen an der Entwicklung neuer Nukleartechnologien, von einem neuen "Nuclear Valley" ist die Rede. Dabei geht es um neuartige Kühlmethoden und die Nuklearfirma TerraPower, die von Bill Gates gegründet wurde, will sogar Atommüll als Brennstoff nutzen. Die Firma arbeitet auch an sogenannten "Small Modular Reactors", gemeinhin als "Mini-Atomkraftwerk" bezeichneten Reaktoren. Der Hype um Mini-AKWs: Macron will neue "Super-Technologie" Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzt auf diese neue "Super-Technologie". "Die sind aber gar nicht klein", erklärt Brunnengräber dazu. "Und wenn sie überall hingestellt werden sollen, bin ich sehr auf die Debatte in der Bevölkerung gespannt. Wir haben ja bei Windrädern schon grosse Akzeptanzprobleme." Und auch hier spielt Zeit eine Rolle. Bis die Mini-AKWs Serienreif sind und alle Sicherheitsanforderungen erfüllen, werden noch viele Jahre vergehen. Zudem verdecke der Hype um die kleinen Reaktoren weitere wesentliche Probleme: "Das Problem der Endlagerung bleibt. Selbst wenn wir beim Recycling Fortschritte machen, wird es immer Restmüll geben, den wir einlagern müssen." Deshalb meint der Experte: "Die Verknüpfung von Atomkraft und Klimawandel, die wir derzeit beobachten, hat vor allem eine Feigenblatt-Funktion." Bei der Diskussion um Atomstrom geht es für manche Länder nicht allein um die möglichen Auswirkungen auf die Klimakrise. Für Frankreich, wie auch Grossbritannien oder die USA spielt die Verbindung zwischen zivilem und militärischem Nuklearsektor eine Rolle. "Zivile und militärische Nutzung von Nuklearenergie sind schon immer eng verzahnt", sagt Brunnengräber. Darüber hinaus weist der Politikwissenschaftler auf die terroristische Gefahr hin, die von jedem einzelnen Reaktor ausgehen würde: "Jeder dieser Minireaktoren ist ein potenzielles Ziel für Terroristen, die mit einem Flugzeug hineinfliegen oder durch Diebstahl in den Besitz von Uran kommen können. Dieses Gefahrenpotenzial ist hoch und wird gern in der Debatte vergessen", erklärt Brunnengräber. Niederschmetterndes Fazit: Atomenergie zu teuer, zu spät bereit, zu gefährlich, zu blockierend Solche Probleme sind schon im Zusammenhang mit den Atomreaktoren von U-Booten bekannt. Aktuell will Australien seine Militärflotte um solche U-Boote erweitern: "Dabei muss man bedenken: Wer sie in Betrieb nimmt, der kommt an spaltbares Material für die Atombombe", so Brunnengräber. Es sei daher kein Wunder, dass die aktuelle Debatte und auch die Forschung zu neuen Technologien vor allem von Atommächten unterstützt werde. Wenn in Atomenergie investiert werde, blockiere das Gelder für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das gelte auch für Gas und Kohle. Insgesamt fällt der Experte daher ein eindeutiges und klares Urteil: "Atomenergie ist zu teuer, blockiert Gelder, ist zu spät einsatzbereit, um etwas gegen den Klimawandel auszurichten und ist darüber hinaus auch zu gefährlich." Das deckt sich mit der Stellungnahme der "Scientists for Future", die in einem von internationalen Fachwissenschaftlern durch Studien untermauerten Text zur Schlussfolgerung gelangen: "Zur Lösung der Klimakrise kann die Kernenergie nicht beitragen."

Verwendete Quellen:GMX