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Aktualisiert am 30.01.2022, 10:46 Uhr

Seit 4. Januar darf ein grosser Teil der Tattoo-Farben nicht mehr verwendet werden.

Eine EU-Verordnung will damit vor gesundheitlichen Risiken schützen.


Ein Tattoo-Artist erzählt, was das für ihn bedeutet und wie die Verordnung die Branche getroffen hat.


Es sind harte Zeiten für Tattoo-Studios. Zuerst traf die Coronakrise mit ihren Lockdowns für körpernahe Dienstleistungen die Branche mit voller Wucht. Und nun verbietet eine neue EU-Verordnung einen grossen Teil der Farben, weil diese gesundheitsschädlich sein könnten. Auch Martin Jabor bekommt das zu spüren. "Im Moment habe ich kaum Termine", sagt der Tattoo-Artist aus Bremen. Jabor hat sich auf farbrealistische Tätowierungen spezialisiert. Die neuen Regelungen treffen ihn deshalb besonders hart. "Ich musste so an die 60 Farben wegwerfen", erzählt er im Gespräch mit unserer Redaktion, "und eine ganze Palette mit neuen Farben kaufen." Von denen er nicht wisse, wie sie sich in der Praxis bewähren. Jabor reagiert mit einer gewissen Schicksalsergebenheit auf die Situation. Und er hat sich vorbereitet. Denn seit etwa einem Jahr war klar, dass die neue REACH-Verordnung ab 4. Januar 2022 greifen wird. REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) wurde erlassen, "um den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können, zu verbessern". Die neuen Regeln betreffen mehr als 4.000 Chemikalien, die als potenziell gesundheitsgefährdend eingestuft wurden und nun nicht mehr verwendet werden dürfen. Ein Tätowierer berichtet: "Ich habe bei vielen echte Panik erlebt" Trotz der Vorlaufzeit wurden viele Studios davon kalt erwischt. "Ich habe bei vielen echte Panik erlebt", schildert Martin Jabor die Situation. Er selbst habe sich frühzeitig mit dem Thema beschäftigt. "Die Sorgen habe ich schon etwas länger hinter mir." Zudem hatte Jabor Glück, denn er zahlt nur eine geringe Ladenmiete. "Ich kenne andere Studios mit hoher Miete, die richtig kämpfen müssen", sagt der Tattoo-Artist. Hinzu kommt die Anschaffung neuer Farben, die laut Jabor mindestens doppelt so teuer sind. Es gebe ein paar Kollegen, erzählt Jabor, die das angekündigte Verbot zuerst nicht ernst genommen hätten. "Da gab es dann ein böses Erwachen, als sie gar keine Farben mehr kaufen konnten."Bisher kein einheitliches Zulassungsverfahren für Tattoo-Farben Das Farbverbot bremst einen jahrelangen Tattoo-Boom vorerst aus. In Deutschland trägt fast jeder fünfte Erwachsene ein Tattoo auf der Haut. In der Altersgruppe von 25 bis 35 Jahren beträgt der Anteil sogar um die 25 Prozent. Tendenz steigend. Da wirkt es einigermassen überraschend, dass es bisher kein geordnetes Zulassungsverfahren bei Tattoo-Farben gab. "Es gab bisher keine zugelassenen Farben. Niemand kann sagen, welche Farben gefährlich sind und welche nicht", moniert etwa der Dermatologe Christoph Liebich. "Teilweise wurden Farben aus der Autoindustrie verwendet." Auch auf der Seite "safer-tattoo.de", die vom in Deutschland zuständigen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft betrieben wird, heisst es: "Wie sich Tattoo-Farben und besonders die Farbpigmente im Körper auf die Gesundheit auswirken, ist noch wenig erforscht. Eine offizielle Liste mit sicheren Bestandteilen von Tattoo-Farben oder eine Zulassung gibt es nicht." Wie gross sind die Gefahren durch Tattoos? Tätowierer betonen einhellig, dass – bis auf leichtere allergische Reaktionen – bisher noch niemals gesundheitliche Schäden aufgetreten sind. Auch Martin Jabor reiht sich hier ein: "Diese Kunst gibt es schon unglaublich lange, und ein Toter durch Tattoos ist mir bisher nicht bekannt." Die European Chemicals Agency (Echa) spricht jedoch von "Tausenden gefährlicher Chemikalien", die in den Farben enthalten sein könnten. Darunter "krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe, Hautsensibilisatoren oder Reizstoffe, ätzende oder augenschädigende Stoffe, Metalle sowie andere Stoffe, die bereits unter die Kosmetikverordnung fallen." Und diese Stoffe können sich in der Haut anreichern, wie auch Christoph Liebich betont: "Der Farbstoff kommt beim Tätowieren unter die Haut. Sie können Tattoos dann nur mit Laser entfernen und trotzdem bleiben Farbreste in der Haut zurück." Pigmentverbot: Warum sich ab 2023 die Lage für Tätowierer weiter verschärft Und doch zeigt sich am Horizont bereits das nächste Problem, denn ab 2023 sollen bestimmte blaue und grüne Farbpigmente untersagt werden. "Damit würden 66 Prozent aller Farben wegfallen", sagt Jabor. Aktuell läuft noch eine Petition beim EU-Parlament, das Verbot nicht umzusetzen. Zurzeit mit mehr als 170.000 Unterstützern. "Es ist spannend, was dann passiert", sagt Jabor. Er bereite sich bereits vor und arbeite an neuen Entwürfen ohne die betroffenen Farben, die er seinen Kunden präsentieren will. Allerdings weiss auch er, dass ihm das viel abverlangen wird. "Farbrealismus, so wie ich ihn jetzt mache, wäre dann eher schwierig." Heisst: Jabor müsste einen komplett neuen Stil erlernen. "Dann müsste ich meinen Stil ändern. Und das wäre schon ziemlich traurig."